Schalkhafte Unkenrufe

von Dr. Nikolaus Schaffer

 

Künstler haben ihre eigenen Methoden, auf die Umwelt und ihre Veränderungen zu reagieren. Diese haben meist wenig zu tun mit den sonst üblichen politischen, psychologischen, soziologischen, ökonomischen Gesichtspunkten. Oft bedienen sie sich einer traumwandlerischen Kombinatorik, die nicht nur für die Fantasie sehr reizvoll ist, sondern auch Anstöße geben kann, die oft triftiger sind als Argumente. Rational nicht unbedingt zugänglich und ästhetisch verschlüsselt, sind diese künstlerischen Hervorbringungen eher als eine Antwort des Unterbewußtseins zu lesen.

 

Die digitale und elektronische Wende kam, wie es ihrem Wesen entspricht, auf besonders leisen Sohlen, aber als unaufhaltsamer Siegeszug. Es schien sogar angebracht, den längst abgetanen Fortschrittsglauben wieder aus der Versenkung zu holen. Inzwischen hängt die ganze Menschheit am Gängelband der elektronischen Informations- und Unterhaltungsindustrie und ihrer Hightech Spielzeuge, die immer mehr Daseinsbereiche okkupieren und eine Vergötzung erfahren, welche die dienstbare Sphäre längst verlassen hat. Wie einschneidend, tiefgreifend oder sogar schadenbringend gesellschaftliche und individuelle Befindlichkeiten und Verhaltensweisen davon tangiert sind, das eröffnet ein weites Feld der Spekulation. Maximale Information und totale Kontrolle bedingen offensichtlich einander. Mit Zauberworten wie Kommunikation und Vernetzung haben geschäftstüchtige globale Menschheitsbeglücker allerdings einen Vorschussbonus zur Hand, der jeglichen Widerstand in Luft auszulösen vermag.

 

Dass sich ausgerechnet eine „gestandene“ Keramikerin, die bisher nicht viel am Hut hatte mit neuen Medien und Computern, auf einen kreativen Dialog mit diesen immer unentbehrlicheren modernen Kommunikationsformen einlässt, ist überraschend. Ute Lehmann sah ihr Metier immer mehr in ein „geschütztes“ ästhetisches Abseits driften und den Kontakt mit jeglicher aktuellen und alltagsnahen Themenstellung verlieren. Das hat sie als eine Künstlerin, die in ihrem bisherigen Schaffen fast ein Übermaß an ästhetischem Feingefühl bekundet hat, immer mehr als Manko empfunden und auf die Suche nach mehr inhaltlicher Brisanz gehen lassen.

 

Man sieht den „Früchten“ dieser Auseinandersetzung die keramische Herkunft und Beschaffenheit auch fast nicht an. In ihrer kurvilinearen Biegsamkeit und perfektionistischen Glätte, die von taktilen Oberflächenreizen fast gänzlich absieht, lassen sie ein klassisches Materialverständnis hinter sich. Völlig abgestreift ist der Kult der kostbaren Glasuren, alles ist mit einem matten Schwarz überzogen, was fast als Tarnfarbe wirkt und einen abweisenden, wenn nicht gar sinistren Eindruck erzeugt.

 

Triviale Dingwelt, Computersphäre und niedere Meeresfauna gehen in diesen verschlossen und gleichzeitig vieldeutig wirkenden Objekten eine nicht ganz geheuere Verbindung ein. Kurios, aber nicht ganz ungefährlich - so etwa könnte eine erste Diagnose lauten.

 

Dass sich in ihnen kritische Kommentare zur Gegenwart verbergen, würde man nicht sogleich vermuten. In diese Richtung weisen allerdings gewisse Anleihen beim elektronischen Produktdesign, angefangen vom primitiven (in diesem Fall dreizackigen) Stecker bis zu Tastatur, Mouser und Monitor, wie sie heute zwar zur gängigsten Ware zählen, als Anregung für die Fantasie allerdings ganz und gar nicht prädestiniert erscheinen.

 

Erstaunlich, dass diese absolut sterilen minimalistischen Produkte überhaupt als Kunst-Anreger taugen können. Ute Lehmann lässt sie mit hinterhältiger Raffinesse in andere, ganz und gar nicht benachbarte Bereiche fluktuieren und macht sie dadurch sinnlich greifbar. Insbesondere die Verschmelzung von Hightech und Biosphäre, der Gegensatz von Vitalität und starrer Künstlichkeit, reizt sie und bringt schwer einschätzbare Gebilde von magischer Objektqualität hervor.

 

Ute Lehmann präsentiert eine ausgiebige Variante dessen, was Mike Kelly vor etlichen Jahren in einem von Freud inspirierten Ausstellungsprojekt „das Unheimliche“ genannt hat. Gleichzeitig zollt sie dem im Übermaß strapazierten Reizwort „Kommunikation“ als thematischem Oberbegriff einen eigenwilligen Tribut. Konsequenterweise lanciert sie denn auch die Kontaktaufnahme zwischen oft ganz heterogenen Formen. Vor allem Amphibien wie Seegurken, Seeanemonen oder Schalentiere bieten sich für recht abstruse Kreuzungen und Mutationen an. Manche dieser überraschenden Verkuppelungen verdanken sich der klassischen surrealistischen Methode, fast unvermeidlich sind Anklänge an die beiden zeitgenössischen Giganten der Kunst der Biomechanics, H.R. Giger und Bruno Gironcoli. Im Gegensatz zu deren monumentalem Pathos kommt Ute Lehmanns technoide Amphibienschau nie ohne einen verschmitzten, beinahe neckischen Akzent aus.

 

Der Zwittrigkeit der Formen entspricht die Ambivalenz der möglichen Reaktionen zwischen Gänsehaut und verhaltenem Gelächter. Der Witz und das Unbehagen liegen ungewöhnlich nah beisammen in diesen obskuren Objekten. Manche von ihnen hätten das Zeug zu schrägem Nippes, miteinander verkabelt bilden sie propere Arrangements. Dabei liegt auch der Ekel nicht weit, wenn etwa Kabel an Tentakel erinnern oder schlüpfriges Gewürm aus allen Poren einer Platte kriecht, gewissermaßen ein sprechendes Bild für den Unflat, der von Monitoren und Tablets ausgesät wird.

 

Bei der Umsetzung ihrer Ideen verfährt die Künstlerin oft betont wörtlich. Die mit Sprechblasen zum Bersten gefüllten Kuverts, die am Sockelrand herunterhängen, sind ein typisches Beispiel für ihren Formenwitz. Auch so antiquierte Requisiten wie Hörrohr und Telefonmuschel kommen in ähnlich skurrilen Verbindungen vor.

 

Ute Lehmann ist eine Perfektionistin, die das schwer Realisierbare einer Aufgabe besonders reizt. Sie geht bei der Formfindung mit fast ingenieurshafter Präzision und Gründlichkeit vor, wie sie in einer kleinen Broschüre ohne Umschweife demonstriert hat. Der Arbeitsprozess durchläuft etliche Probestadien und Versuchsreihen, ehe sie jene spielerische Eleganz erreicht, die für ihre Arbeit charakteristisch ist. Streng reduktionistische Formgebung schließt bizarre Kapriolen keineswegs aus.

 

Komplizierte Herstellungsmethoden und materialbedingte Fragilität werden konsequent überspielt, der Werkstoff selbst vollzieht eine Art von Mimikry. Das Anonyme wird hier zu einer stofflich erfahrbaren Qualität. Weich oder hart, spröde oder schlüpfrig – das bleibt manchmal in Schwebe.

 

Die Künstlerin nähert sich ihrem Thema ohne ideologische Vorbehalte und aufklärerische Attitüde; ohne Technologisches und Organisches gegeneinander auszuspielen, was natürlich eine besonders nahe liegende, aber allzu vordergründige Option wäre. Die einander ausschließenden Gegensätze nähern sich einander an. Die unheimliche Note wird durch die mutwillige Lust zur Pointe – teilweise – aufgehoben. Die Künstlerin weiß, welche Dosis an Humor sie der Farbe Schwarz schuldig ist.